Bauerndemo in Berlin
Da habe ich vor einigen Tagen mit meinem Lieblingstraktoristen telefoniert, dass er mir eine Fuhre Sand für den Pferde-Paddock liefert. Der Traktorist befand sich in einer aufgeschwungenen Stimmungslage. Denn er schipperte mit seinem Bulldog gerade durch die Straßen der Hauptstadt und da waren Tausende andere Traktoren: Bauerndemo in Berlin!
Ich bin stolz auf meinen Lieblingstraktoristen. Zwölf Stunden ist er nach Berlin gegondelt und zwölf Stunden wieder zurück. Ich mag Leute, die sich wehren. Gleichzeitig bin ich der festen Überzeugung, dass sich in der Landwirtschaft einiges sehr dringend ändern muss.
Jetzt können wir uns darüber gleich wieder in die Haare kriegen. Das passiert üblicherweise, indem Leute Extrempositionen einnehmen, in etwa: „Nichts darf sich ändern“ gegen „Alles muss sich ändern“.
Das ist geistige Faulheit. Schauen wir statt dessen genau hin, was sich ändern sollte und was bleiben sollte. Beispiel Landwirtschaft. Bleiben sollten hier zunächst einmal die Bauern selbst. Dem ist aber nicht so. Stand 2018 zählen wir noch 266.000 Landwirtschaftliche Betriebe in Deutschland. Das ist gegenüber dem Jahr 2007 ein Rückgang um fast 55.000 Betriebe.
Was sich hinter diesen Zahlen versteckt, ist vor allem ein Kleinbauernsterben. Die in der BRD bewirtschaftete Fläche ist nämlich nicht kleiner geworden. Aber die Betriebe werden größer. 60% der Landwirtschaftsfläche werden inzwischen von Betrieben mit mehr als 100 Hektar bewirtschaftet. 56% der Milchkühe stehen in Betrieben mit mehr als 100 Tieren.
Diese Tendenzen steigern sich radikal durch eine ständige Technologisierung der Landwirtschaft. Da kümmert sich etwa die Bundesregierung aktuell um die „Digitalisierung der Landwirtschaft“ und „Precision Farming“. Da wird dann GPS-gesteuert auf den Quadratzentimeter genau vollautomatisch gesät und gedüngt und was weiß ich – sorry: das geht in die komplett falsche Richtung.
Diese High-Tech-Landwirtschaft werden sich wieder nur die größten der Großen leisten können und der Druck auf die kleinen Bauern wächst noch mehr an. Wir haben in der Landwirtschaft mit anderen Worten die selben Grundprobleme, wie überall: eine rasante Monopolisierung, in der sich anonyme Player immer fetter fressen.
Aus meiner Sicht brauchen wir nicht noch mehr High-Tech in der Landwirtschaft, sondern wieder mehr Menschen. Wer das Land ernährt, soll sich auch selbst von seiner Arbeit ernähren können.
Wir brauchen eine Politik, die das Höfesterben nicht noch weiter befördert, sondern gegensteuert. Wir brauchen (und wollen) Bauern vor Ort, die eine intakte Verbindung zu ihrer Gegend und zu ihrem Land und zu den Leuten drumherum haben – und die ihre Produkte zu fairen Preisen in ihrer eigenen Region an den Mann und die Frau bringen können.
Gleichzeitig sollte sich niemand Illusionen machen: es wird sich (auch) in der Landwirtschaft vieles ziemlich fundamental ändern müssen. Glyphosat und flächendeckender Gifteinsatz etwa sind kein ehernes Bauerngesetz, sondern eine Verirrung der letzten Jahrzehnte. Wir müssen wieder ran an das alte Wissen, an Arbeit im Einklang mit der Kraft der Natur.
Das spricht nicht gegen den Einsatz von Maschinen. Ich bin nicht technikfeindlich. Aber die Qualität der Böden ist ein riesiges Problem, das niemand ignorieren darf. Eine intakte Mikrobiologie kann nicht ersetzt werden durch chemischen Dünger. Auch die Frage, welche Wirkung die Landwirtschaft auf das Grundwasser hat, muss gestellt werden. Die Nitratbelastung ist viel zu hoch.
Schließlich ist der Fleischkonsum in diesem Ausmaß nicht tragbar. Ich persönlich bin Vegetarier und lebe damit sehr gut. Aber wenn schon Fleisch gegessen werden muss, dann bitte Fleisch aus der Region, das nicht quer über den Erdball transportiert wurde.
Insofern – und das gilt nicht nur für Bauern, sondern für uns alle: demonstriert für Eure Interessen, lasst Euch nicht herumschubsen, wehrt Euch – aber macht Euch auch einen Kopf darüber, wie die Wirtschaft der Zukunft aussehen soll, damit sie verträglich ist für die Natur, für die kleinen Leute und für die kommenden Generationen.
Prinz Chaos II.
Weitersroda
Fotos: Privat
Bernd Schreiner
29. November 2019 @ 15:52
Lieber Prinz, ja, im Narrenkäfig kann man sich ausleben und nicht wenige Zeitgenossen vergessen dabei die Grenze des Käfigs. So findet man sich schnell wieder in Diskussionen, die man oft gar nicht führen will. Doch scheuen wir einfach die Diskussion, und stimmen unreflektiert zu, auch wenn es immer wieder zu diesen Ausblühungen von ideologischen Schimmel kommt, bei all den guten Gedanken und Ausführungen, die auch darin verborgen liegen?
Prinz, du schreibst, dass: „Schließlich ist der Fleischkonsum in diesem Ausmaß nicht tragbar. Ich persönlich bin Vegetarier und lebe damit sehr gut. Aber wenn schon Fleisch gegessen werden muss, dann bitte Fleisch aus der Region, das nicht quer über den Erdball transportiert wurde.“
Für wen ist da was nicht tragbar? Für dich persönlich als Vegetarier? Oder für die Menschen an sich?
Für mich führen genau derartige Statements, gerade gegen Ende deines Artikels dazu, den Autor in eine Ecke zu schieben, die weit weg ist, von meiner. Es ist die Ecke im Ring gegenüber. Sie führen dazu, Fronten aufzubauen, wo Einigkeit wichtig wäre.
Kannst du mir als Nicht-„Vegetarier“ bitte erklären, warum Bananen, dem Deutschen liebstes Obst, für 49 oder 99 Cent das Kilogramm gut sein sollen, aber das Fleisch aus Südamerika nicht? Zumindest wird die Banane unter fast ausschließlich extrem umweltbelasteten Bedingungen angebaut, viel Unterdrückung und menschliches Leid begleitet seit Jahrzehnten ihren Weg und zwischenzeitlich ist die gesamte Sorte in ihrer Existenz bedroht, da ja weltweit fast nur noch eine angebaut wird. Egal ob Bio oder konventionell.
Das Fleisch aus Südamerika kommt von Tieren die Gras gefressen haben, 3-4 Jahre lang. Sie werden vor Ort geschlachtet und mit dem Schiff nach Europa gefahren.
Also 2 Produkte, ihr Transport ist vergleichbar, das eine wird mit hohen bzw. höchsten Umweltbelastungen angebaut mit all den Folgen für die lokale Bevölkerung, den vergifteten Landschaften und Veganer und Vegetarier bewerten dies pauschal besser, als das andere, das tierische Produkt.
Wenn man genau hinschaut, ist ein gut gehaltenes Rind eine ökologische Bereicherung, ein Mehrwert und sogar eine Klimagassenke! Das Rind isst überwiegend Rauhfutter, Gras und Co also, erzeugt dabei Fleisch und Milch, schafft dabei guten, wertvollen Dung, der viel Einsatz von fossiler Energie vermeidet und strukturiert dabei Lebensräume ideal für eine große Biodiversität! In Südamerika wird es dort gehalten, wo nichts anderes ausser Gras wächst. Weltweit sind rund 70% der Anbauflächen nur für Weideland oder den Rauhfutteranbau geeignet. Rinder nutzen also eine für den Menschen sonst nur schwer nutzbare Nahrungsquellen, eben sehr zellulosehaltige Kalorienträger, die sonst ausser für energetische Verwertung kaum nutzbar wären. In Zeiten der Verknappung von Anbauflächen, Nahrung und wachsender Bevölkerung ein nicht unerheblicher Punkt finde ich. Idealerweise würden wir den Dung in Biogasanlagen ausgasen und dann als aufgewerteten Dünger ausbringen.
Und gutes heimische Fleisch erst, regional erzeugt, wie hier im Unterland? Wie gut ist dessen Bilanz erst? Und all das Gute und Wichtige verurteilt man als Veganer einfach mal pauschal?
Ja, so sind sie, meine lieben Ideologen! Sie pflanzen Mischwälder auf tiefgründigen Sandböden, nicht unähnlich den Bürokraten in Brüssel die für Mecklenburg-Vorpommern eine Seilbahnverordnung forderte (siehe Artikel im Spiegel).
Und wenn wir dann mal wirklich hinschauen, dann sehen wir, dass das ganzjährig verfügbare Angebot an pflanzlicher Nahrung aus der ganzen Welt eingeflogen wird, monatelang in Kühlhäusern energieintensiv gelagert wird, und plötzlich weis keiner mehr, warum die Bilanz von pflanzlicher Nahrung besser sein soll, aber jeder kauft im Discounter und das heimische Obst verrottet derweil am Strassenrand. Über 1/3 des EU-Bio-Angebotes kommen aus China und die Plastikmeere an der Mittelmeerküste für den deutschen Markt sprechen Bände!
Die rund 7% Klimagasemissionen der Landwirtschaft in Deutschland stammen ja fast zu 2/3 vom Ackerbau, und nur zu 1/3 von der Tierhaltung! Ähnlich ist es weltweit betrachtet. Dabei entsteht bei den Tieren primär Methan, das rund 18-25fach stärker als CO2 wirkt und rund 9 Jahre in der Atmosphäre verbleibt, bis es von alleine abgebaut wird. Beim Ackerbau dagegen entsteht hauptsächlich Lachgas, und das hat es in sich. Es bleibt nicht nur zehnmal länger in der Luft als Methan, sondern wirkt auch 300fach stärker als CO2!
Aber lasst uns weiter schauen, denn unser Prinz schreibt auch von dem Nitrat und der Belastung.
„Aber die Qualität der Böden ist ein riesiges Problem, das niemand ignorieren darf. Eine intakte Mikrobiologie kann nicht ersetzt werden durch chemischen Dünger. Auch die Frage, welche Wirkung die Landwirtschaft auf das Grundwasser hat, muss gestellt werden. Die Nitratbelastung ist viel zu hoch.“
Ja, die Böden sind vielerorts ruiniert und wir machen so weiter, ob Bodenverdichtung, Humusabbau oder Landumnutzung. Und natürlich ist auch die Nitratbelastung dort zu hoch, wo zu viel gedüngt wird und wo zu viel Vieh auf zu wenig Land gehalten wird. Das Problem ist die Konzentration des Viehs auf wenige Ställe, primär in Niedersachsen, Ställe mit Vieh ernährt mit nicht betriebseigenen Futtermitteln.
Im Gesamten ist der Anteil von Wirtschaftsdünger, also dem Dung der Tiere, nur bei 37%! Rund 2/3 des Düngebedarfs muss so über mineralischen Dünger abgedeckt werden, der mittels fossilen Brennstoffen erzeugt wird oder aus endlichen Ressourcen abgebaggert wird und damit viel Schwermetall auf deutschen Äckern ausgebracht wird. Wir brauchen also eigentlich mehr Vieh, alleine um die Äcker ausreichend und lokal zu versorgen, den Humusaufbau zu fördern, also die Mikroorganismen im Boden zu ernähren, wir brauchen Nährstoffkreisläufe, und keinen Zeigefinger und keinen Kampf der Veganer gegen Fleischesser!
Und am wenigsten benötigen wir Gutmenschen, die meinen, ihre Überzeugung rettet die Welt. Veganismus rettet die Welt nicht, ebenso wenig wie Vegetarismus oder das Fleischessen.
Wir brauchen Freiheiten und Möglichkeiten. Wir benötigen Menschen die bewusst entscheiden, ob sie eine Kreuzfahrt machen möchten, eine Flugreise oder lieber ihre gesamte Wohnung im Winter auf 24°C heizen möchten und viel Auto fahren. Sie müssen bewusst entscheiden, wo sie ihre Lebensmittel kaufen. Aber sie müssen die Wahl haben, jeder für sich, jeder nach seinen Wünschen.
Aber wir müssen uns auch beschränken, jeder. Aber bitte jeder dort wo er kann und will, denn jeder hat seine eigenen Lebensumstände. Weshalb sollte die alte Mutter ihren noch älteren Ofen zwangsaustauschen, wenn sie im gesamten Jahr sowieso keine 2 Ster Holz darin verbrennt? Sollte da nicht der nachdenken, der mit einer hocheffizienten modernen Heizanlage zwar sauberere Wärme erzeugt, aber dafür so unnötig viel, dass die effektive, wirklich ausgestossene Schadstoffmenge trotzdem bei seiner Neuanlage viel höher ist?
Warum soll der alte Golf mit dem kleinen Motor, der alleine durch sein Alter schon eine gute Bilanz hat und vielleicht nur 4 Liter Diesel verbrennt einem SUV Platz machen, durch den in der Stadt locker mal 10 Liter Diesel laufen, dafür aber supereffizient?
Wir müssen die Suffizienz im Auge behalten!
Wir brauchen keine Grüne Verbotspolitik, ebenso wenig wie Linke Gleichmacherei und Bevormundung. Doch auch konservative Beharrlichkeit oder gar Verneinung wird keine Lösung bringen. Wir müssen unsere Grundlage des Wirtschaftens verändern und das ist keinesfalls nur eine Aufgabe für den Konsumenten, denn gerade die großen Einsparpotentiale liegen oft wo anders!
Solange wir es uns leisten, Krabben in der Nordsee zu fischen, in Marokko pulen zu lassen und irgendwo anders verpacken, um sie dann in Norddeutschland zu verkaufen, gibt es große Bereiche um sinnvoll zu handeln. Es ist der andauernde Zwang zur Profitmaximierung, den steigenden Gewinnen und Dividenden geschuldet, und unseren Ansprüchen an die gut verzinste Einlage, die Rente und die Versicherungen. Solange wie alleine Massnahmen, wie die Umstrukturierung der Industrie Stromverträge Milliardenkosten und Klimagas Exposition vermeiden würden, müssen die Unternehmen aber auch ihren Teil liefern, der im Gesamten einen beträchtlichen Anteil des Problems darstellt!
Doch das sind andere Themen, sie sind wichtig und werden sehr relevant, wenn man sich wirklich ernsthaft mit dem gesellschaftlichen Umbau beschäftigt, dessen Notwendigkeit sicher nicht nur wir beide mit Sicherheit längst erkannt haben und den Wohlstand auch für unsere nachfolgenden Generationen erhalten wollen oder auch nur die Möglichkeit in Würde zu Leben!
Bernd Schreiner
Westhausen